Echt? Eine Geschichte für Kinder hier im Kirchen­blog? Ja, denn manche Geschichten tun einfach auch der erwachsenen Seele gut. Mir wurde die Geschichte von Pastor Lamprecht aus Hermanns­burg 1982 geschenkt. Sein damals 10-jähriger Sohn hatte sie geschrieben:

Auf der Wiese am Bach stand der Esel. Er stand da den ganzen Tag, wenn es nicht gerade etwas zu tragen gab. Auch kamen die Kinder zu Besuch und spielten mit ihm.
Eines Tages war der Esel verschwunden.
„Geklaut“, sagte der Bauer.
„Weggelaufen“, sagte sein kleiner Sohn und weinte.
In Wirklichkeit war es so: Der Esel stand eines abends vor seinem Esel­stall und starrte in den Sternen­himmel. Ganz still geworden war es im Dorf. Der Esel starrte auf den Großen Wagen, der funkelnd und weit am Himmel leuchtete. Der Esel wusste nicht, wie ihm geschah. Er wurde von einer unwider­steh­lichen Lust gepackt, einen solchen Wagen einmal zu ziehen. Wie herrlich muss das sein, dachte er, einen so prächtigen Wagen zu ziehen anstelle der Karren im Dorf oder der Torf­säcke, die er so manches Mal zu schleppen hatte.
Als diese Gedanken in seinem Kopf herum­wirbelten, war er auch schon über alle Berge. Im Galopp lief er durch Wälder und Dörfer. Über alle Grenzen rannte er ohne Ausweis, und immer hatte er des nachts den Großen Wagen vor sich, sein Ziel. Nach einigen Wochen wurde es wärmer, er kam in südli­chere Gegenden. Plötzlich sah er einen ganz großen Stern, der ihn fast blendete. Es schien ihm, als sei dieser Stern viel näher als der Große Wagen. Den will ich mir zunächst ansehen, dachte er, an dem muss ich sowieso vorbei. Und weiter ging es. An vielen Kara­wanen vorbei, sogar an einer Kara­wane, in deren Mitte drei Könige auf ihren geschmückten Kamelen ritten.
Mit Macht zog es ihn immer weiter. Bald bin ich bei dem hellen Stern, dachte er. Da hörte er plötzlich eine Stimme, wie er sie noch nie vernommen hatte: „Wo willst du denn hin?“
Der Esel drehte sich um und sah in einem Stall ein Kind liegen, ein neuge­borenes Kind mit seinen Eltern. Er erschrak. Er wusste sofort, dass es ein besonderes Kind sein musste, denn es beherrschte die Esels­sprache.
„Zum Großen Wagen will ich“, sagte er.
Das Kind sagte: „Der ist nicht für dich bestimmt, den kannst du auch mit deinen Esels­kräften gar nicht erreichen. Aber du sollst ihn später einmal geschenkt bekommen, wenn du zurückgehst in dein Dorf und weiter deine Säcke trägst.“
Der Esel wunderte sich sehr. Aber dann wurde er so froh, wie er noch nie im Leben gewesen ist. In Windes­eile rannte er zurück in sein Dorf.
Zu Hause begrüßten ihn alle mit großer Herzlich­keit.
Die Alten freuten sich, aber besonders freuten sich die Kinder.
„Irgendetwas ist mit ihm vorgegangen“, sagte der Bauer nach einigen Tagen. „Gelegentlich bleibt mein Esel einfach stehen und rührt sich nicht von der Stelle. Weder gute Worte noch kleine Schläge helfen da weiter.“

So weit diese Geschichte. Mich berührt der Esel mit seinem großen Ziel. Mich berührt das Kind, dass den Esel neu ausrichtet auf seine ihm zugewiesene Aufgabe. Es beherrscht die Eselsprache. Es beherrscht auch meine Sprache. Ich will wie der Esel im Alltag innehalten, an das Kind im Stall denken und mich immer wieder neu ausrichten lassen.

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